Freitag, 29. Oktober 2010

Literatur 2.0 oder Die Auswüchse der Verlagsbranche

Ein Verlag in München bietet "personalisierte Romane" an. Auf der Internetseite steht eine genreumspannende Auswahl an Beispieltexten zur Verfügung, die man sich unter Angabe von Eigenschaften der gewünschten Hauptpersonen - in der Regel die Lieben und Freunde, die man mit dem Ergebnis beschenken will - gefügig machen kann.

Kerninformationen, Abbildungen und Textbeispiel sollen uns auf den Geschmack bringen. Ein strukturiertes Bestellformular begleitet uns beim Anlegen dieses pseudo-persönlichen Werks. Dort können wir etwa "eine Anzahl von persönlichen Eigenschaften und Vorlieben der beiden Hauptfiguren festlegen: Name und Kosename, Augen- und Haarfarbe, Orte, oft auch Lieblingsfarbe und -musik". Nebenbei bemerkt: "Liebesszenen wählen sie [sic!] zwischen den Varianten 'lässig' und 'rassig'." Und auch der oder die Schenkende wird auf einer Widmungsseite verewigt, auch dem schenkenden Ego ist also Genüge getan.

"Personal Novel" - das ist: nicht nur Selbstbeweihräucherung und die Vorgaukelung der Tatsache, mit etwas Hilfe (einem Textskelett, einer Pauschalhandlung) eine Art Roman zu kreieren ("Schau, ich kann schreiben.") Auch ein absurdes Modern-Times-Phänomen: die publikatorisch-medialen Auswüchse einer Literatur 2.0(Schlagwort "interaktiv"). Sozusagen das Umkehrmotiv der neuzeitlichen Massenproduktion und Gleichmacherei ("Du kannst individuell gestalten.") Mit dem heute so ziemlich jedes Unternehmen im Dienstleistungssektor wirbt (à la "Wir bieten maßgeschneiderte Lösungen..." - ein ganz und gar nicht mehr innovativer Slogan).

Ich stelle mir schon vor, wie ich mich in einem Groschenroman mit persönlicher Widmung wiederfinde, in dem Augen- und Haarfarbe, womöglich auch rassige Liebesszenen die wesentlichen Beschreibungsmomente sind...

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